Freitag, 13. Juni 2008

Josh Waitzkin: Die Kunst des Lernens

Josh Waitzkin (geb. 1976, New York) ist ein amerikanisches Schach-Talent mit vielen nationalen und internationalen Titeln. Im Alter von 27 wandte er sich Tai Chi Chuan und Chinesischen Kampfkünsten (Pushing Hands, Klebende Hände, Chi Sao) zu, wo er rasch ebenfalls internationale Titel errang, um erstaunt festzustellen, dass dort dieselben Lern-Prinzipien gelten wie im Schach. Darüber hat er dann das Buch "The Art of Learning" geschrieben.

Prinzipien aus "The Art of Learning" von Josh Waitzkin

  • Mechanisches Lernen, insbesondere das Auswendig-Lernen, das Kopieren von Wissenskatalogen ist eigentlich eine Abwehrstrategie von echtem Lernen, das Offenheit, Intuition, Flexibilität beinhaltet. Was man in einem Wissenskatalog gespeichert hat, braucht man nicht mehr aktiv zu erarbeiten, zu er-lernen. Leider werden heutzutage immer noch die meisten Lernprozesse falsch gestaltet, sogar bei der Ausbildung im Schachspiel.
  • Innere Arbeit muss sich mit der äußeren Arbeit paaren. Daher sind Zwangspausen bei vielen Spitzensportlern oft sehr produktiv. (Manche müssen sich erst die Knochen brechen, um das zu verstehen und systematisch umzusetzen.)
  • Anfängergeist: Offenheit dem Unbekannten ist eine Grundhaltung im Lernen: Josh Waitzkin erzählt das Gleichnis von der Krabbe, die in einem Schalengehäuse lebt und sich dort wohnlich eingerichtet hat. Dann wird das Gehäuse zu klein. Sie muss ihr Zuhause verlassen. In dieser Phase des Übergangs ist sie höchst verletzlich. Menschen richten sich auch in einem mentalen Gehäuse wohnlich ein und haben eine große Abneigung gegen Unbekanntes. Manchmal kommen Lernprozesse aber nicht weiter, ohne diesen Schritt ins Unbekannte zu wagen. Der Preis dafür ist eine Phase der Verletzlichkeit, den viele Leute ab einem gewissen Alter nicht mehr zahlen wollen.
  • Der Mensch hat einen natürlichen Hunger nach ständig Neuem. Deshalb spricht man auch von "Neu-Gier". Diesen Hunger mit vorfabrizierten Massenprodukten zu bedienen, ist eine sprudelnde Geldquelle. Das ist ein wesentlicher Antreiber unserer Kultur und Wirtschaft. Das Fernsehen ist die perfekte Bedienung dieses Hungers. Wenn man die Gewohnheit des ständigen Konsumierens vorgefertigter, leicht-verdaulicher Informationshappen auf die Lernkultur anwendet, hat das verheerende Folgen: Dann wird der Lernende zu einem Müllhaufen fremder Regeln, Meinungen und Glaubenssätze. Lernen geht dann nie in die Tiefe. Josh Waitzkin hält dagegen, dass der Lernprozess für jeden Menschen die immerwährende aktive Entdeckung des Neuen in sich selber ist. Dies ein höchst subjektiver Prozess und kann nicht kommerzialisiert werden.



  • Investiere in die Niederlage: Aus Fehlern lernen ist ein wichtiges Potenzial. Das muss man erst zu schätzen lernen. Weit verbreitet ist das Gegenteil davon, die Abwärtsspirale: Wenn man Fehler gemacht hat, identifiert man sich mit der Fehlerquelle und schiebt sich die Schuld zu. Aus der Vorstellung "Ich kann das nicht" wird eine Zementierung falscher Verhaltensweisen. Weil Niederlagen nicht gewollt werden, kommt es zur Verdrängung von Fehlern und Situationen, in denen sich die Fehler wiederholen könnten. Dann bleibt ein riesiges Lern-Potenzial brachliegen. Josh Waitzkin empfiehlt stattdessen, solche Situationen bewusst aufzusuchen, bis man aus den Fehlern gelernt hat.
  • Söhne Dich mit allen Störungen aus. Schließe Freundschaft mit allen Hindernissen. Kehre Hindernisse in Hilfen um. Benutze alles als Leiter des ständigen Lernprozesses. Es gibt keine perfekte Umgebung. Wenn man es still haben will, ist das kleinste Geräusch störender Krach. Bedingungen, die man an seine Umgebung richtet, setzen nur eine Abwärtsspirale in Gang.
  • Die Kreise verkleinern: Es reicht nicht, eine Technik zu erlernen. Das ist nur der Anfang. Der eigene Zugriff auf die Techniken muss weiter vereinfacht, beschleunigt, kleiner werden.
  • Zeit ist nichts Festes. Der Rythmus, in dem wir wahrnehmen und agieren, ist stark veränderbar. Eine solche Erfahrung macht man z.B. bei Unfällen, wenn alles in Zeitlupe abzulaufen scheint. Aber man muss sich nicht erst die Knochen brechen, um das zu verstehen und systematisch umzusetzen.
  • Chunking: Das lineare Denk-Bewusstsein ist in seiner Kapazität sehr beschränkt. Man spricht von 7 Dingen, die es gleichzeitig im Blick haben könne. Was diese 7 Dinge jedoch sind, bleibt völlig offen. Und genau hier liegt ein riesiges Potenzial: Durch "Chunking" werden komplexe kognitive Prozesse zu einem Ding zusammengefasst. Dann sieht das Bewusstsein nur noch das Endergebnis des komplexen kognitiven Prozesses, nicht mehr die Details. Intuitives Gefühl ersetzt Denken und Berechnung. Das geschieht in jedem Leben, nur sind die Chunks unterschiedlich. Man entscheidet sich für das, was sich gut anfühlt, ohne den komplexen Entscheidungsprozess bewusst wahrzunehmen. Manchmal sind die Chunks auch kontraproduktiv und verhindert Spitzenleistung. Dann kommt man nicht umhin, in stillen Stunden die dahinter liegenden kognitiven Prozesse unter die innere Lupe zu nehmen. In Zeitlupe geht man die komplexen Schritte durch, analysiert die eigenen Geisteshaltungen dahinter und die Vorstellungen, aus denen sie gespeist werden. Der Vorstellung folgt der Geist, dem Geist der energetische Fluss und die körperliche Manifestation im Alltag. Das ist wie Umprogrammieren, alte Chunks verlernen und neue, effektivere Chunks zu erarbeiten. Das ist innere Arbeit, ohne die die äußere Arbeit nur oberflächlich bleibt.
  • "The Zone" oder "Flow", absichtsloses Handeln im freien Fluss, alles scheint mühelos von alleine zu gehen in absoluter Präsenz und Klarheit ("Laser-Sicht"). Die Zerhacktheit des schrittweisen Denkens wird durch die Kontinuität der Laser-Sicht abgelöst. Kein Neuronen-Gewitter stört den freien Fluss. Ursache von Neuronen-Gewitter sind verselbstständigte Denkprozesse, die ein Eigenleben zu führen scheinen ("nonself automated"). Ohne mit diesen Gewohnheiten aufzuräumen, ist keine Spitzenleistung möglich.
  • Das Selbstbild ist eine Vorstellung von sich selbst, aus dem eine bestimmte Geisteshaltung erwächst, die sich im täglichen Leben und Lernen manifestiert. Daher ist das Selbstbild so entscheidend. Der Vorstellung von sich selbst folgt der Geist, dem Geist die Art und Weise des täglichen Lebens und Lernens. Oft liegt in einem fehlerhaften Selbstbild die Wurzel-Ursache für Lernschwierigkeiten.
In seinem Buch "The Art of Learning: An Inner Journey to Optimal Performance" zitiert Josh Waitzkin folgendes Experiment:
  • Zwei gleich guten Gruppen von Schülern wurden identische Aufgaben in 3 Phasen gegeben, wie im Folgenden beschrieben. Die erste Gruppe glaubte an die eigene Begabungen und Schwächen, also daran, dass dies persönliche Charakter-Merkmale wären, die man nur schwer verändern könne. Die zweite Gruppe führte dagegen die eigenen Lernerfolge auf gute Lernarbeit zurück. Eigene Misserfolge wurden auf ungenügendes Training zurückgeführt, nicht auf Charakter-Merkmale.
    Die 3 Phasen waren folgende:
  • In der ersten Phase waren die Aufgaben leicht.
  • In der zweiten Phase waren die Aufgaben sehr schwer.
  • In der dritten Phase waren die Aufgaben wieder leicht.
  • Das Ergebnis des Experiments war folgendes: Beide Gruppen waren in der ersten Phase gleich gut, in der zweiten Phase gleich schlecht. Signifikante Unterschiede ergaben sich erst in der dritten Phase. Darin lieferte die erste Gruppe so schlechte Ergebnisse ab, als ob die Aufgaben der dritten Phase genauso schwer gewesen wären wie die der zweiten Phase. Die zweite Gruppe hingegen war in der dritten Phase genauso gut wie in der ersten Phase.

Selbstbild und Lernerfolg

  • Die unterschiedlichen Vorstellungen, was Lernen sei, reichen also aus, um signifikante Unterschiede im Lernerfolg hervorzubringen.
  • Die beiden Gruppen haben sich lediglich darin unterschieden, was sie glaubten. Glaube versetzt nicht nur Berge, sondern hat auch entscheidende Auswirkungen auf den Lernprozess.
  • Sind Interesse, Offenheit, Wissbegierde und Lernfähigkeit statische Persönlichkeitsmerkmale oder dynamische Prozess-Elemente?
  • Unserer jeweiligen Vorstellung vom Lernen folgt unsere eigene Art und Weise des Lernens. Das Selbstbild, die Summe aller Vorstellungen von sich selbst, macht in dem geschilderten Verusch den Unterschied.

1 Kommentar:

nateobringer hat gesagt…

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